Große Ereignisse, die die ganze Welt in Atem halten, gibt es zum Glück nur wenige und liegen zeitlich gesehen weit auseinander. Aber genau solch ein Phänomen ist das Coronavirus, dessen Schockwellen noch viele Monate nachdem die schwerste Zeit überwunden ist, nachhallen werden und das die Welt, wie wir sie kennen, verändern wird.
Manche haben bereits zu spüren bekommen, wie diese neue Welt aussehen könnte – sei es durch Unternehmen, die schließen mussten oder durch verlorene Jobs. Innerhalb weniger Wochen haben wir den Zusammenbruch der Travel-Industrie miterlebt, indem die Sales stark eingebrochen sind. Gleichzeitig sehen wir, wie einige Handelsunternehmen so starke Verkaufsschübe haben, dass sie den Aufträgen nicht nachkommen können. Die Geschäftsfähigkeit wieder anderer Marken wird zum Erliegen gebracht und die Arbeitsplätze von unzähligen Menschen wurden auf Eis gelegt, während alle darauf warten, dass die Regierung zu Hilfe kommt.
Es mag für manche unsensibel und unklug erscheinen, sich auch auf die positiven Auswirkungen der Krise zu konzentrieren. Doch es ist nun einmal so, dass sich das Coronavirus auf verschiedene Branchen auf unterschiedliche Weise auswirkt und es ist wichtig zu verstehen, wie diese weitreichenden Folgen aussehen.
Die neue Normalität
Der eCommerce erweist sich im Großen und Ganzen als einer der widerstandfähigeren Industrien. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage der xpose360 GmbH unter Advertisern ergab, dass bereits die Mehrheit negative Auswirkungen - durch weniger Bestellungen oder Lieferengpässe - spürt. Dies hat auch Konsequenzen auf die Affiliate-Programme. Laut der Umfrageergebnisse bleibt bei 33 Prozent der Advertiser zwar zunächst noch alles wie gehabt, aber bereits 18 Prozent denken über eine Pausierung oder Beendigung des Programms nach und sogar 27 Prozent planen mit einer Budgetreduzierung. Während wir diesen Artikel schreiben, läuft unseren Zahlen zufolge ein Großteil der Affiliate-Kampagnen unverändert weiter, da viele den Fokus beim Affiliate Marketing auf die Kundenakquisition legen. Aber die Geschwindigkeit, mit der der Virus unser Leben beeinflusst, ist so schnell, dass wir vorsichtig sein müssen. Dutzende Awin Kunden haben Änderungen an den Provisionen vorgenommen, Kampagnen pausiert oder ganze Programme geschlossen. Das mögen zwar weniger als 5 Prozent sein, aber wir sind auch noch weit von dem globalen Höhepunkt dieser Pandemie entfernt. Auch wenn wir langsam wieder auf dem Weg zur Normalität sind, werden wir die Auswirkungen der Pandemie noch lange spüren. Täglich geschehen dramatische Veränderungen – und es werden unweigerlich mehr folgen.
Um den Schein von Normalität zu wahren, sind wir darauf angewiesen, dass die Lieferketten aufrechterhalten werden, Lieferungen erfolgen und Advertiser ihren Kundenverpflichtungen nachkommen können. Doch viele Publisher stecken fest: Einerseits werden Kampagnen, die sie bewerben, abgebrochen, weil sie zu erfolgreich sind und mit der Nachfrage nicht Schritt gehalten werden kann (wie es beispielsweise im Haushaltswaren- und Heimwerkerbereich der Fall ist). Andererseits haben andere Branchen - wie Versicherungen oder Ticket-Programme - aufgrund der aktuellen Lage große Schwierigkeiten überhaupt Handel zu betreiben oder haben schlichtweg nichts zu verkaufen.
Gerade noch rechtzeitig
Vorherzusehende Ereignisse können in ein System eingebaut werden. Seit langem ist bekannt, dass Retailer zu Spitzenzeiten – wie zum Beispiel zu Weihnachten – zusätzliche Lagerbestände horten, während dies für den Rest des Jahres unerschwinglich sein würde. Nehmen wir beispielsweise die Supermärkte, die sowohl ihre physische als auch ihre digitale Infrastruktur in bemerkenswerter Weise belastet haben. Laut Evan Fraser, Direktor des Arrell Food Instituts, „ist es üblich, dass die Durchschnittsstadt einen Drei-Tages-Vorrat an frischen Lebensmitteln hat. Dies (nach Meinung einiger) bedeutet, dass wir immer nur neun Mahlzeiten von einer Anarchie entfernt sind. Die Systeme, von denen wir abhängig sind, sind in vielerlei Hinsicht zerbrechlich und von Natur aus verwundbar“. Die Höhe der nicht verfügbaren Bestände in Supermärkten liegt in der Regel zu jedem Zeitpunkt bei durchschnittlich 2 Prozent. Als die Verbraucher jedoch lostürmten, um ihre Vorräte aufzustocken, stieg dieser Anteil Mitte März auf fast 25 Prozent. Diese Zahl ist mittlerweile etwas zurückgegangen und liegt derzeit bei etwa 18 Prozent. Dies zeigt, dass die Systeme, von denen wir ausgehen, dass sie funktionieren, ganz leicht zusammenbrechen können.
Aber es gibt auch noch andere logistische Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Einige Marken haben beschlossen ihre Online-Shops zu schließen - aus Angst, dass die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht mehr gewährleistet werden kann. Anderswo haben Arbeiter aus Australien und den USA gestreikt, da es in den Lagerhäusern nicht möglich ist, den Mindestabstand einzuhalten. Zwei Stunden nachdem der Amazon Mitarbeiter Chris Smalls wegen der Angst vor einem Ausbruch des Coronavirus einen Protest organisiert hatte, wurde er nach eigener Aussage telefonisch entlassen. In Frankreich erschwert ein Streik der LKW-Fahrer zusätzlich den Betrieb von funktionierenden eCommerce-Betrieben - in der Zeit einer weltweiten Krise. Die Marken müssen derzeit eine schwierige Gradwanderung gehen und zwischen dem Weiterbestehen und dem Schließen, wählen. Darüber hinaus müssen sie auch abwägen, wie Verbraucher den Retailer im Umgang mit der Krise in Erinnerung behalten sollen.
Gewohnheiten ändern
Den Wunsch, weiterhin in die Geschäfte shoppen zu gehen, haben derzeit viele Menschen. Jedoch ist dies in einer Welt, in der wir uns nur für den Einkauf von wesentlichen Produkten von Zuhause wegbewegen dürfen, ein Wunsch der vorerst nicht erfüllt werden kann. Da wir derzeit alle nach Ablenkung von der Eintönigkeit der Tage und kommenden Wochen suchen, bietet der Besuch des Online-Shops eines Retailers ein Fenster in eine Welt, die uns an unser früheres Leben erinnert.
Manche Marken haben widerstandsfähigere Geschäftsmodelle als andere. So erleben Online-Gaming, Streaming-Dienste und Downloads – also digitale Produkte - einen Aufschwung. Seit dem Lockdown konnten sie ihre Sales beinahe verdoppeln. Aber auch traditionellere Industrien, wie der Heimwerkerbereich, verzeichnen einen Sales-Anstieg von über 50 Prozent. Kein Wunder, denn zum einen haben wir gerade reichlich Zeit Heim und Garten zu verschönern. Andererseits ist der Frühling generell die Periode, in der wir Reparaturen durchführen und alles bereit für den Sommer machen.
Aber wird sich unser Verhalten langfristig verändern? Während die Wendungen der Pandemie noch abzuwarten bleiben, wird sich unser Leben früher oder später wieder normalisieren. Die Frage, die sich jedoch stellt: Wird sich eine neue Normalität herausbilden? Wird sich unsere Wahrnehmung der Marken und Produkte, die wir kaufen, durch unsere jüngsten Erfahrungen nachhaltig ändern?
Die inneren Werte
Vielleicht wird man sich von der Jagd nach dem besten Deal distanzieren. Geschärft durch den Blick auf eine andere Welt, in der Knappheit ein bestimmender Faktor ist und mit der vielen Zeit, die uns allen gerade zur Verfügung steht, können wir reflektieren, was uns am Wichtigsten ist. Vielleicht werden wir uns wieder mehr auf die inneren Werte der Marken und Produkte konzentrieren, statt auf die Ersparnis, die wir bei einem Impulskauf erzielen.
Obwohl es einen Sales-Rückgang bei den Erlebnisgeschenk-Programmen gab, werden sie sich zweifellos wieder deutlich erholen. Denn wir werden uns danach sehnen, die Lücke der kommenden Monate mit schönen Erinnerungen zu füllen. Vielleicht werden wir kritischer bei dem, was wir kaufen. Dies könnte an die wachsenden Trends, die wir schon vor dem Coronavirus gesehen haben, anknüpfen.
Zwei Entwicklungen, die schon lange vor der Pandemie an Bedeutung gewannen und durch das Coronavirus nur bestärkt wurden, ist zum einen die Verschiebung der Verfügbarkeit. Zum anderen ist es das ‚Peak-Stuff‘-Phänomen, das den Punkt beschreibt, an dem die Menschheit realisiert, dass sie sich gewisses ‚Zeug‘ nicht leisten kann, dieses nicht braucht und ohne es besser dran ist. Steht uns nun eine Zeit der Selbstreflexion bevor, in der die Selbstisolierung den vergänglichen Charakter vieler unserer Einkäufe deutlich hervorhebt? Professor und Verbraucherpsychologe Dr. Dimitrios Tsvrikos von der University of College London glaubt, dass „die Panikkäufe, die wir jetzt sehen, die instrumentelle Qualität der Produkte hervorheben: Wie lange hält das? Brauche ich das wirklich? Ist es das tatsächlich wert? Dient es einem klaren Zweck und kann ich diesen bestimmen? Wenn ja, wird es relevant sein; wenn nicht, wird es in den Köpfen der Verbraucher untergehen“.